WARUM SCHREIBEN? DIE NARRATIVE RESILIENZ
Detaillierte Synthese der Ausbildung von Boris Cyrulnik, Psychiater, verfügbar auf der Website von Formationspsy (H4 Éditions, Partner von: Bildung & Familie - Universität Mons)
> Preis für den Download dieses Buches: 3,90€
[Auszug aus der Synthese]
Warum Narrative Resilienz?
Boris Cyrulnik beginnt damit, seine Dankbarkeit für die Möglichkeit auszudrücken, über narrative Resilienz zu sprechen, und führt den Begriff ein, indem er die Bedeutung der Entfernung der beiden Wörter erklärt. Resilienz, so Cyrulnik, ist die Fähigkeit, nach einem Trauma eine neue Entwicklung zu beginnen, während der Begriff "narrativ" die Kraft des gesprochenen oder geschriebenen Wortes betont, um die Wahrnehmung der Vergangenheit zu verändern. Durch die Sprache haben Menschen die Möglichkeit, sich von schmerzhaften Erinnerungen zu befreien, wie es oft bei Menschen der Fall ist, die an Depressionen oder einem psychotraumatischen Syndrom leiden. Für Cyrulnik liegt die Heilung nicht nur im Aussprechen, sondern auch in der Reflexion, dem Überarbeiten und Wiederholen, ähnlich wie ein körperliches Training durch die Wiederholung von Bewegungen die Muskeln verändert.
Das Selbstnarrativ: Von der Grübelei zur Resilienz
Boris Cyrulnik unterscheidet verschiedene Arten des Selbstnarrativs. Wenn eine Person allein grübelt, gerät sie oft in einen Wiederholungskreislauf, der zu Depressionen oder einem psychotraumatischen Syndrom führen kann. Im Gegensatz dazu erfordert das Teilen seiner Geschichte mit anderen eine Auswahl und Klärung der Worte, die einen Resilienzprozess in Gang setzt. Er hebt auch die Bedeutung des kulturellen Kontexts hervor: Wenn das persönliche Narrativ mit dem kollektiven Narrativ übereinstimmt, wird es besser aufgenommen und kann so das Gefühl von Unterstützung und Verständnis stärken. Diese kulturelle Kongruenz hilft, die Darstellung der Vergangenheit zu verändern.
Die Präverbale Resilienz beim Baby
Cyrulnik spricht auch von einer Form der Resilienz, die sich bereits vor dem Spracherwerb entwickelt, insbesondere beim Baby. Er betont die schnelle Entwicklung des Gehirns in diesem Alter, das neuronale Verbindungen als Reaktion auf Erfahrungen und den Kontext aufbaut. Wenn ein Baby Angst verspürt, können ein einfacher Körperkontakt oder beruhigende Worte einen sichtbaren Zustand der Ruhe wiederherstellen, was sich in der Neurobildgebung zeigt. Bleibt ein Baby jedoch zu lange allein, kann dies dauerhafte Störungen verursachen. Cyrulnik unterstreicht die Zerbrechlichkeit und Empfänglichkeit des Babygehirns, das Ereignisse speichert, ohne notwendigerweise bewusste Erinnerungen daran zu behalten.
Erinnerung ohne Gedächtnis und falsche Erinnerungen
Cyrulnik spricht auch das Konzept der „Erinnerung ohne Gedächtnis“ an. Einige Ereignisse aus der frühen Kindheit hinterlassen neurologische Spuren, ohne explizit erinnert zu werden, was das bewusste Erzählen dieser Erinnerungen unmöglich macht. Dies kann zu falschen Erinnerungen führen: verbale Erzählungen, die authentische Gefühle ausdrücken, jedoch nicht unbedingt genaue Spiegelungen der erlebten Tatsachen sind. Cyrulnik berichtet, dass er selbst Untersuchungen zu seinen eigenen Erinnerungen durchgeführt hat und dabei festgestellt hat, wie leicht sich solche Erinnerungen ohne Täuschungsabsicht konstruieren lassen.
Die Konstruktion der Narrativen Identität und Resilienz
Schließlich hebt Cyrulnik die Bedeutung des Erzählens hervor, des Transformierens von Erlebnissen in ein Narrativ, das die narrative Identität formt. Resiliente Menschen sind diejenigen, die sich über die Traumata definieren können, die sie durchlebt und überwunden haben. Diese Fähigkeit, ein Narrativ um die Herausforderungen herum aufzubauen, ermöglicht den Zugang zu einer Form der Resilienz. Für ihn ist Resilienz das Ergebnis zahlreicher Faktoren – genetischer, biologischer, neurologischer, affektiver, psychologischer und soziokultureller Natur – und erfordert einen multidisziplinären Ansatz, um ihre Mechanismen vollständig zu verstehen.
Subjekt der eigenen Erinnerung durch das Narrativ werden
Boris Cyrulnik erklärt, dass man erst dann wirklich zum Subjekt seiner Erinnerung wird, wenn man in der Lage ist, zu erzählen, was einem widerfahren ist. Bis etwa zum Alter von 6 bis 8 Jahren bleibt das Gedächtnis stark vom Umfeld und den erlebten Ereignissen beeinflusst, was uns prägt und kennzeichnet. Doch sobald man dies in Form eines Narrativs ausdrücken kann, beginnt man, diese Erinnerungen zu beherrschen und umzugestalten. Man kann wählen, ob man sie in einen Roman, eine Autobiografie oder ein Zeugnis verwandelt, je nach dem Bedürfnis, Rache zu üben, die Wahrheit wiederherzustellen oder sein Erleben distanziert darzustellen. Indem wir unsere Geschichte schreiben oder erzählen, überarbeiten wir die Darstellung des Geschehenen, vielleicht mit leichten Abweichungen von der Realität, doch mit mehr Kontrolle.
Die verschiedenen Aspekte des traumatisierten Gehirns
Laut Cyrulnik ist das Gehirn im Moment des Traumas „K.O. im Stehen“ und hört auf, Informationen normal zu verarbeiten. Wenn ein Gehirn gesund ist, werden verschiedene Bereiche mit Energie versorgt, was sich bei Hirnscans durch Farbvariationen zeigt. So aktivieren das Sprechen oder Erinnern unterschiedliche Teile des Gehirns, doch ein Trauma führt zu einer Entkopplung. Diese Art von Dissoziation hinterlässt tiefe Spuren und führt dazu, dass bestimmte Bereiche blockiert bleiben, was oft zu anhaltendem Grübeln und einem Gefühl der Machtlosigkeit führt.
Denis Hoffers Experiment über Erinnerung und Umgestaltung von Erinnerungen
Cyrulnik berichtet von dem Experiment des Psychosoziologen Denis Hoffer, der 14-jährige Jugendliche zu verschiedenen Aspekten ihres Lebens befragte und sie 34 Jahre später, im Alter von 48 Jahren, erneut interviewte. Die Antworten unterschieden sich stark und zeigten, wie sich die Darstellung der Vergangenheit im Laufe der Zeit verändert. So wurden etwa Erinnerungen an Langeweile in der Schule oder an Popularität nach mehreren Jahrzehnten anders interpretiert. Diese Diskrepanz veranschaulicht, wie Erinnerungen oft unbewusst umgestaltet werden, um sich an aktuelle Wahrnehmungen und Bedürfnisse anzupassen.
Die subjektive Darstellung der Vergangenheit
In seinem eigenen Buch La vie t'appelle hat Cyrulnik beobachtet, dass persönliche Erinnerungen und die Wahrnehmungen anderer erheblich voneinander abweichen können. Beim Vergleich von Erinnerungen an gemeinsam erlebte Ereignisse stellte er auffällige Unterschiede fest. Dies illustriert den subjektiven und veränderlichen Charakter des Gedächtnisses. Traumatische Erinnerungen, so erklärt er, bestehen aus zwei Aspekten: einer präzisen, detaillierten Erinnerung an das Trauma und einer verschwommenen Erinnerung. In diesem Unklaren liegen therapeutische Möglichkeiten, denn es ist möglich, die Darstellung dieser Erinnerungen zu bearbeiten und somit das Gewicht des Traumas zu verringern.
Das veränderliche Gedächtnis und der „ehrliche Irrtum“
Abschließend betont Cyrulnik die veränderliche Natur des Gedächtnisses, das sich je nach Alter, Emotionen und soziokulturellem Kontext verändert. Mit der Zeit verändern sich Erinnerungen und können sogar vergessen oder unbewusst umgestaltet werden. Diese Formbarkeit ermöglicht Psychotherapie und psychologische Verbesserung. Das führt auch zu „ehrlichen Irrtümern“: Zwei Personen können sich unterschiedlich an dasselbe Ereignis erinnern, nicht aus bösem Willen, sondern weil sich ihre Erinnerungen unterschiedlich entwickelt haben. Daher führen gemeinsam erzählte Erinnerungen in der Familie oder unter Freunden oft zu kleinen Streitigkeiten, was die inhärente Subjektivität des Gedächtnisses verdeutlicht.
Erzählung und Konstruktion des Gedächtnisses
Boris Cyrulnik erklärt, dass eine Beobachtung von Denis Chapterre zeigt, wie wir unsere Erinnerungen in Echtzeit neu erschaffen. In einer Studie bat Chapterre die Teilnehmer, sich an ihre Aktivitäten des vorangegangenen Sonntags zu erinnern, während er ihr Gehirn mit Neuroimaging untersuchte. Die präfrontalen Lappen, die an der Antizipation und am Auffinden von Erinnerungen beteiligt sind, verbrauchen Energie, um auf diese Erinnerungen zuzugreifen. Danach aktivieren sich die okzipitalen Lappen, um die damit verbundenen mentalen Bilder zu visualisieren, und der linke Temporallappen greift ein, um die Erinnerung in Worte zu fassen. Diese Beobachtung zeigt, dass Imagination und Gedächtnis ähnliche Gehirnregionen beanspruchen, was die Möglichkeit des „ehrlichen Irrtums“ erklärt: Erinnerungen können sich vermischen oder vom Imaginären beeinflusst werden.
[ ... ]
Um den Rest zu lesen, kaufen Sie bitte das E-Book. Es wird dann in Ihrem FormationsPsy-Konto im PDF-Format verfügbar sein.